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Als Kind im 2. Weltkrieg

Überhaupt meine Mutter. Der Ortsgruppenleiter überreichte ihr eines Tages das Mütterverdienstkreuz, wir waren nämlich kinderreich. Es hing an einem schönen langen Schleifenband. Mutter trug den Orden kein einziges Mal. Wir durften damit spielen und prompt war das gute Stück sehr bald unter andern Spielsachen verschwunden. Den Weg alles irdischen ging auch die Hakenkreuzfahne, mit der wir zu besonderen Anlässen unser Haus beflaggen sollten. Besondere Anlässe gab es oft, roten Baumwollstoff dagegen selten. Fräulein Lücking, unsere Hausschneiderin, nähte für meine beiden Schwestern und mich bunte Dirndlkleider, es fehlten lediglich die dazugehörigen Schürzen. Kurzerhand zerschnitt Muter die Fahne, das leuchtende Rot der Dirndlschürzen passte wunderbar zu unseren Kleidern.

Das war zwar schon kurz vor dem unaufhörlich angekündigten Endsieg, aber heute weiß ich, dass sie doch jedes Mal ein bisschen Herzklopfen hatte, wenn andere ihre Fahnen heraushingen, unser Haus jedoch gefährlich nackt dastand. Der Ortsgruppenleiter überreichte nicht nur Orden, sondern auch die Mitteilung "Bei Stalingrad vermisst" oder "Gefallen auf dem Felde der Ehre". Wir waren froh, dass er an unserm Haus vorbeiging.

Am 20. Juli ist mein Namenstag, den feierte man früher noch. Der 20. Juli 1944 war für mich wegen des Hitlerattentats ein ganz besonderer Namenstag. Diese hektische, sich überschlagende Stimme aus dem Volksempfänger! Von göttlicher Vorsehung war die Rede. Alle schienen sehr aufgeregt zu sein, auch meine Muter. Und ich sagte: „Oh Mama, ohne den lieben Gott wäre unser Führ jetzt tot. Der hat aber einen guten Schutzengel gehabt. Im gleichen Augenblick rutschte ihr die Hand aus. Sie verabreichte mir eine saftige Ohrfeige und zischte: „Göttliche Vorsehung! Was für ein Quatsch! Und du nenne Hitler nie wieder in einem Atemzug mit dem lieben Gott“. Ich war zutiefst erschrocken, fühlte mich ungerecht behandelt und verstand die Welt nicht mehr.

(aus demBuch "Vierzehnmorgen ... und andere Geschichten" von Margret Bonné erschienen im Ahaus-Verlag 2002, S.36/37)

Autor: Margret Bonné, 09.03.2018 
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