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Gedanken von und über einen der auswanderte

„Ich würde ja so gerne mal wieder um die Ecke schauen, aber mein Herz …“ das waren in den letzten Jahren die immer wieder kehrenden Worte meines Onkels, wenn wir telefonierten, zuletzt Anfang Dezember 2015. Ich spreche von Hubert Jürgens, geb. 19. November 1919, gestorben am 22.Dezember 2015.

1945, ich war 3 Jahre. Der Krieg ist zu Ende, ein Soldat klopft an die Küchentür im Haus Nr.5 in der Petersilienstraße in Steinheim, seine Utensilien in einem Seesack auf dem Rücken. Sicherlich habe ich den Empfang damals nur erstaunt zugesehen, das war also mein Onkel Hubert, der jüngste Bruder meiner Mutter, von dem meine Eltern so oft gesprochen hatten. Es begannen 5 schöne Jahre für mich.

Onkel Hubert bekam sofort wieder Arbeit in der Bäcker- u. Konditorei Schriegel in Steinheim, in der er auch das Bäcker- und Konditorhandwerk erlernt hatte. Da das Gebäude der Bäckerei von der Marktstraße bis zur Petersilienstraße durchgehend war hatte ich als kleiner Bengel schnell den Weg zur Backstube gefunden.

Hier gab es immer mal Kuchenabfälle oder die damals vom „Platenkuchen“ abgeschnittenen Kanten zu naschen. Dafür haben mein Freund Andreas Raabe und ich kleinere Arbeiten erledigt, wie Backstube gefegt oder Schriegels-Kinderzwieback in Beutel verpackt und so weiter.

Im Hause Schriegel arbeitete auch Regina Minge, zwischen den beiden hatte es gefunkt. Für mich nicht schlecht, denn Tante Regina hatte auch mich in Ihr Herz geschlossen, ich genoss Freiheiten die ich zu Hause nicht hatte. Onkel Hubert legte dann in Deutschland noch eine Prüfung als Bäcker- u. Konditormeister ab.

Dann kam 1950 der Abschied, ich musste schlafen gehen, und am nächsten Morgen war mein Onkel Hubert nicht mehr da. Ein Freund und seine Verlobte Regina hatten ihn nach Bremen zum Schiff gebracht, als Andenken hatte er mir ein kleines Messer und einen Brieföffner dagelassen, mit dem ich heute noch meine Briefe öffne, leider jetzt keinen mehr von ihm.

Wie kam es zu diesem Lebensweg? – In der Gefangenschaft in Kanada musste mein Onkel mit anderen Gefangenen für einen Farmer „Runkel verziehen“, sie hatten gutes Essen und konnten sich nicht beklagen. Auf dem Feld haben sich die Gefangenen ausgedehnt unterhalten, Onkel Hubert hatte zu seinen Kollegen gesagt: „Komm, lass uns was tun, uns geht es hier gut, was soll der sonst von uns Heinis denken“. Der Farmer hatte dies gehört und sprach ihn in akzentfreiem Deutsch an: „Du bist doch ein Westfale.“ Sehr verlegen muss Onkel Hubert gewesen sein und sicherlich ist sein Gesicht noch eine Nuance rötlicher geworden. – Ab sofort wurde er auf Grund seines Berufes und der beim Militär erlernten Kochkünste in der Küche eingesetzt. Die beiden wurden Freunde der Farmer Karl Riese aus Bad Waldliesborn in Westfalen sorgte dafür, dass sein Freund Hubert sofort nach Kriegsende wieder nach Steinheim konnte. Das war der Mann mit dem Seesack.
Die wirtschaftlichen Aussichten waren zu der Zeit in Deutschland nicht rosig, und Karl Riese aus Kanada schickte Geld für die Überfahrt, versteckt hinter eingerahmten Bildern. So kam es, dass er, wie beschrieben, wieder nach Kanada fuhr. Seine Verlobte blieb erst noch hier, kam später nach und sie heirateten 1952.

In den folgenden Jahren besuchten die beiden häufig Europa. Onkel Hubert hatte sieben Geschwister in Deutschland, und die Familie von Tante Regina verteilte sich auf Deutschland, Polen und Belgien, lediglich eine Schwester von Tante Regina hatte in Deutschland einen Kanadier kennen gelernt, den geheiratet und ist auch nach Kanada gezogen. So war jeder Europaurlaub mit einer zusätzlichen Reiseaktivität verbunden. Das „Basislager“ war aber immer Steinheim, nur nicht mehr die Petersilienstraße 5, (hier ist jetzt das Beerdigungsinstitut Bestattungen Schröder), sondern der Bornebrucher Weg 83.

Nach dem Tod seiner Frau, der Tante Regina 2010 und dem Eintreten einiger Altersbeschwerden, verlegten wir uns auf das Schreiben und in den letzten Jahren mehr auf das Telefonieren und Bilderschicken. In jedem Jahr war der Brief mit dem Steinheimer Kalender vom Heimatverein ein Highlight, wenn der Kalender mit der Post in der Mittagszeit kam, dann lies er die Kartoffeln kalt werden, dann musste dieser erst durchgeblättert werden. Parallel hierzu bekam er dann von mir ein Schreiben mit Kommentaren, wie: „In diesem Haus wohnen jetzt ...“ oder: „Das ist die Haustür von XYZ, das Haus ist an ... verkauft“. Das war dann aber immer noch nicht ausreichend, im nächsten Telefongespräch wurde alles ausgiebig besprochen und diskutiert. Er kannte die alten Häuser in vielen Straßen und deren frühere Besitzer mit Namen und Beinamen. Er wusste genau welcher Lammersen, Lohre oder Lödige wo wohnte. So war ich für diese Informationen immer zuständig. Die ganze Gegend um das Minipreiscenter habe ich fotografiert und beschrieben was da früher stand, z.B. Eingang Center, war früher Eingang von Steinwarts (Bunker) Kohlenhandlung, oder der Eingang zu Rossmann, war früher die Spitze zu Schwertfegers Holzplatz. So konnte er kein Ende finden. Mit seinem Freund Fritz Schwertfeger hat er auch wohl viel telefoniert und die DVD „Von Ziegen und Zellteilung“ (Die Möbelindustrie in Steinheim) hat ihn total begeistert, (hier konnte er seinen Freund Fritz Schwertfeger im Interview sehen) er hat sie damals sofort umspielen lassen und, wie er sagt, auswendig gelernt.

Zum Tode seines Freundes Alex Schäfer, mit dem er auch häufig telefonierte, musste ich eine Karte schreiben, die er in groben Zügen diktiert hat und hat sich dann über die Danksagung aus Deutschland gefreut.

Ja alte Geschichten erzählte er immer wieder. Wie: „ Als ich in der Lehre war und mit dem Fahrrad nach Schieder Brötchen bringen musste, macht ich immer in Wöbbel am Konsum halt, (hier war seine Schwester Verkäuferin) , dann hat unser Lehne immer kontrolliert ob meine Ohren auch sauber waren und ich bekam was zu trinken, Junge ich sage Dir, die war pingelig“.
Zum Schluss kam dann wieder der Satz: „Ach könnte ich doch noch einmal, einmal um die Ecke schauen“.

Autor: Helmut Holzkämper, 09.03.2018 
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