Reiner Reineccius (Reineke)
Aufgrund seiner Lebensleistung kann der am 15. Mai 1541 in Steinheim geborene Gelehrte als bedeutender Sohn der Stadt bezeichnet werden.
Das Wohnhaus seiner Eltern stand direkt am Marktplatz. Das Nachbarhaus war das Geburtshaus von Hermann Tulichius. Seine Eltern gehörten zur Oberschicht in Steinheim, sein Urgroßvater, sein Großvater und sein Grußvater waren Ratsherren. Nach dem frühen Tod des Vaters übernahm der Schwager Conrad Engeling die Vormundschaft und schickte ihn mit 9 Jahren auf die weiterführende Schule nach Lemgo.
1555 kam Reiner Reineccius nach Hannover und traf dort auf seinen Lehrer Johannes Glandorp. Bereits 1556 folgte er seinem Lehrer nach Goslar. Dieser vermittelte ihm in den nächsten vier Jahren die Liebe zur Geschichte. In Zusammenarbeit mit dessen Sohn Ambrosius Glandorp vollendete und veröffentlichte er später die Werke seines im Jahr 1564 verstorbenen Lehrers.
Seine akademische Ausbildung begann 1560 in Marburg und wurde 1562 in Wittenberg weitergeführt.
Schon seit etwa 1568 hatte er nach mehrjährigen Vorarbeiten eine Anzahl von Monographien über die Genealogie der Dynastien und der berühmtesten Geschlechter der Staaten des alten Orients und Griechenlands herausgegeben. Diese vereinigte und vervollständigte er zu einem Werke, das eine umfassende Darstellung der Geschichte des Altertums bis zu römischen Weltherrschaft enthält: dem „Syntagma de familiis quae in monarchiis tribus prioribus rerum potitae sunt" (Basel 1574 bis 1578).
1574 hatte ihn der Kurfürst August von Sachsen zum Historiografen mit der Aufgabe betraut, die Geschichte des Hauses und des Landes Sachsen zu verfassen.
Nach 1575 übernahm Reineccius eine Professur in Frankfurt/Oder.
1582 folgte er der Berufung des Herzogs Julius von Braunschweig an die Universität Helmstedt. Dort wurde er von der Pflicht Lesungen anzubieten befreit, um in Ruhe an seinem Hauptwerk "Historia Julia" arbeiten zu können. Er wurde aber verpflichtet, ein- oder zweimal im Jahr den Studenten der Universität eine schriftliche Studienanleitung zu fertigen. So verfasste er 1583 in Eile seine Schrift „Methodus legendi", das die Gesetze und Methoden der Geschichtsschreibung erläuterte. Es blieb mehr als 100 Jahre das grundlegende Werk seiner Art.
Sein geliebtes Hauptwerk "Historia Julia" erschien in drei Bänden in den Jahren 1594 bis 1597. Conrad Bursian schrieb in seinem 1883 erschienen Werk "Geschichte der classischen Philosophie in Deutschland" über dieses Werk: "Eine für ihre Zeit wahrhaft großartige Leistung, die jahrhundertelang von der Nachwelt als reiche Fundgrube ausgebeutet wurde."
Nach einen unglücklichen Sturz von einer Leiter starb Reineccius am 16.04.1595 in Helmstedt.
Reiner Reineccius über Steinheim
Dieses ist die äteste zusammenhängende Darstellung der Stadtgeschichte Steinheims. Diese beruht auf Geschichten die durch Hören/Sagen von einer Generation zur anderen weitergegeben wurden und so innerhalb Steinheims Stadtmaueren kusierten Reiner Reineccius hat sie aufgeschrieben und um 1582 als Aufsatz veröffentlicht.
Nicht alle Annahmen haben sich später als richtig erwiesen, weswegen auf die dazu beigefügten Anmerkungen verwiesen wird.
Der Text wurde von Josef Menze anlässlich des Jubiläums 700 Jahre Stadtrechte ins Deutsche übersetzt und im Jahr 1975 in der Festschrift veröffentlicht.
"Uns allen hat die Natur einen derartigen Hang zur Heimatliebe eingepflanzt, dass wir uns je nach Veranlagung um Glück, Ehre und Ansehen der Heimat bemühen, Wir möchten es deshalb als unsühnbaren Frevel ansehen, diese Anhänglichkeit auf irgendeine Weise abzustreifen oder dagegen zu verstoßen. Um also auch selbst für meinen Teil und in Anbetracht meiner Herkunft ein dankbarer Bürger sowohl zu sein als auch als solcher in Erscheinung zu treten, halte ich es für angebracht, umrisshaft einiges über die Stadt Steinheim, meine teure Heimat, niederzuschreiben. Allerdings nichts aus Chroniken oder sonstigen Urkunden, sondern lediglich das, was gleichsam im beständigen Gespräch der Einwohner von den Vorfahren überliefert ist und heute größtenteils frisch in der Erinnerung lebt und vor aller Augen existiert. Wir wissen, dass die älteren Zeugnisse über Steinheim durch eine verheerende Feuersbrunst vernichtet wurden; und weil man früher solchen Vorgängen gleichgültig gegenüberstand, fällt es anderen zu, diesen Verlust wiedergutzumachen.
Steinheim liegt an dem Fluss Emmer, der allgemein bekannt ist durch die fränkischen Annalen eines Benediktiners, die Hermann Graf von Neuenahr [1] herausgegeben hat. Der Fluss mündet, nachdem er einen großen Teil der Diözese Paderborn durchflossen hat, zu der jetzt auch Steinheim gehört, bei dem Gau Osa [2] in die Weser, die Westfalen und Sachsen heute voneinander trennt. (Der Name Osa, den dieser Gau bewahrt, scheint von den alten Osen zu stammen, einer bei Tacitus unter den Stämmen Germaniens hervorgehobenen Völkerschaft). Das alte Sachsen wurde nämlich im Osten von der Elbe, im Westen vom Rhein begrenzt. Das Volk der Sachsen selbst zerfiel in drei Stämme mit jeweils eigenen Namen. Im Westen lebten die Westfalen, im Osten die Ostfalen, und die, die zwischen beiden, diesseits und jenseits der Weser, wohnten, hießen Engern. Und weil in späteren Zeiten die sächsischen Könige gewöhnlich aus den Herrschern der Engern gewählt wurden, fing man deshalb an, es selbst Königreich der Engern zu nennen. Dies belegt, um anderes unberücksichtigt zu lassen, eine alte Denkmalsinschrift, die in Hameln zu sehen ist, wie folgt:
Im Jahre des Herrn 712 haben Graf
Bernhard und Gräfin Christina aus
dem engerschen Königshaus von Osten
diese Kirche gegründet. [3]
Es steht für mich unzweifelhaft fest, dass die Engern den Landstrich besaßen und dass ihr Name davon abgeleitet ist. Später wurde dieses Gebiet Herzogtum an der Weser genannt.
Über den Ursprung Steinheims ist nichts bekannt. Dennoch halten die Einwohner die Stadt für alt; und als Gelegenheit für die Ausdehnung der Stadtgrenzen erwähnen sie folgendes: Möglicherweise steckte eine schlimme und verhängnisvolle Seuche die ganze Nachbarschaft an. Besonders betroffen waren die Burg Stoppelberg mit einem Städtchen gleichen Namens und das Dorf Klein-Steinheim, die auf verschiedenen Hügeln für sich lagen. Als die Krankheit dort wütete, begannen beide Orte zu veröden, und ihre Einwohner zogen nach Steinheim. Den Namen des Dorfes überliefert noch jetzt ein Hügel. Und weil ja die Grafen von Schwalenberg Herren der Stoppelburg waren, glauben die nach Steinheim von dort eingewanderten Einwohner, dass sie ihre dortigen Grundstücke als Lehen zurückerhielten und dass die bis heute andauernden Abgaben auf diesen Zusammenhängen beruhen. Ich möchte annehmen, dass die Stoppelberger Burg kurz danach zerstört worden ist. Weil die Geschichte selbst überliefernswert ist und ein, wenn auch schreckliches, so doch einleuchtendes Beispiel für bestrafte Unzucht vorstellt, flechte ich sie kurz ein. Herren waren, wie gesagt, die Grafen von Schwalenberg, und ihre Familie wurde nach diesem Wohnsitz benannt. Über dieses Geschlecht berichten sowohl andere alte Annalen als auch besonders des Abtes Arnold von Lübeck [4] Ergänzungsschrift zu Helmold [5]. Ausführlich erwähnt es auch das Geschichtswerk des Crancius. Außer der Stoppelberger Burg besaßen die Schwalenberger auch die Oldenburg. Zu dieser Zeit lebten von jener Familie 3 Brüder. Diese teilten die angestammten Besitzungen so auf, dass der eine die Schwalenburg, der andere die Stoppelburg und der dritte die Oldenburg erhielt.[6] Der Stoppelberger stand wegen seiner häufigen und abscheulichen Ausschweifungen in sehr schlechtem Ruf, und schließlich ging seine Tollheit so weit, dass er mit der Oldenburgerin ein Verhältnis unterhielt. Als das bald allgemein bekannt wurde, bewaffnete der Oldenburger voller Erbitterung sein Gefolge, besetzte die Stoppelburg im Handstreich, brachte seinen Bruder um und machte die Burg selbst dem Erdboden gleich. Sie wurde danach nicht wieder aufgebaut; wahrscheinlich unterblieb das, weil alle bei der Erinnerung an eine so große Freveltat Grauen empfinden. Gleichwohl behielt der Ort seinen Namen, geblieben sind auch gewisse Spuren von der Burg und der Stadt. Ich weiß nicht, ob es derselbe Oldenburger Graf oder ein anderer ist, von dem die Einwohner diese zweite von den Vorfahren überlieferte Geschichte kennen: auch dies die Erzählung über die gerechte Strafe für einen Ehebruch, aber zugleich auch die eines höchst grausamen Vorfalls. Im Amt Oldenburg [7] liegt das Dorf Kollerbeck. Darin hatte ein im Kriege ausgezeichneter und wohlhabender Ritter vornehmen Namens seinen Wohnsitz.[8] Obwohl er mit dem Grafen eng befreundet war, entbrannte er in heftiger Liebe zu der Gemahlin des Grafen. Als der Graf abwesend war und er sie für sich gewonnen hatte, verführte er sie zum Ehebruch. Aber die Nemesis ließ dieses Verbrechen nicht lange geheim bleiben. Sobald der Graf davon erfuhr, war er aufs äußerste empört. Er griff den Sitz des Ritters überraschend an und fasste ihn bei lebendigem Leibe. Als der Ritter ihm vorgeführt wurde, so berichtet man, habe er ihn gefragt, wenn der Ritter einen des gleichen Vergehens Schuldigen in seiner Gewalt hätte, welche Strafe er dann verhängen würde. Darauf entgegnete der Ritter: »Abscheulich ist meine Schandtat. Ich bitte nicht um Gnade. Entscheide, wie es dir gefällt! Wenn das Schicksal dich aber als einen desselben Verbrechens Schuldigen in meine Hand hätte fallen lassen, so ließe ich dich in so kleine Stücke zerhacken, dass sie in einem flachen Topf gesammelt werden könnten.« Zur Vollstreckung dieses Urteils übergab ihn der Graf seinen Leuten zum Hinschlachten. Den Topf, in dem die Teile des zerstückelten Leichnams gesammelt worden waren, schickte er nach Marienmünster zum Beerdigen. Den Wohnsitz des Ritters zerstörte er. Dennoch hat die Stelle von daher bis auf den heutigen Tag ihren Namen behalten, sie wird nämlich die Schweitzerburg [9] genannt. Die Schwalenberger Linie aber starb mit den Brüdern Heinrich und Günther aus.[10] Der eine starb kinderlos, der andere wurde Priester und dann zunächst Erzbischof von Magdeburg. Als er dieses Amt niedergelegt hatte, wurde er Bischof von Paderborn. Obwohl er auch in diesem Amte nicht blieb und seinen Bruder überlebte, hat er es trotzdem wegen des Aberglaubens jener Zeit nicht über sich gebracht oder auch nicht gewagt, den geistlichen Stand zu verlassen und sich zu verheiraten. Er vermachte die Grafschaft dem Paderborner Bistum und den Lippischen Grafen dergestalt, dass Paderborn ein Viertel des Amtes Schwalenberg und die Hälfte des Amtes Oldenburg erhalten sollte. Alles Übrige sollte den Lippern zufallen. Das war um 1309.
Ob Steinheim im Übrigen auch schon bald nach der Gründung zum Paderborner Sprengel gehörte, so wie heute, darf mit vollem Recht bezweifelt werden. Denn den Gebrauch von Münzen, Gewichten und Maßen hatten die Einwohner der Stadt immer mit den Nachbarn der Lippischen Grafschaft, nicht mit den Paderbornern gemeinsam. Das dauerte so lange, bis der Administrator Heinrich Erzbischof von Bremen, aus dem erlauchten herzoglichen Hause von Sachsen-Lauenburg [11], diese Einrichtung durch Erlass aufhob. Wenn man in dieser Hinsicht eine Vermutung äußern darf, so ergeben sich notwendigerweise zwei Möglichkeiten, nämlich Steinheim von Anfang an, oder durch Tausch oder durch Schenkung an Paderborn gefallen ist. (Möglicherweise war das eine kirchliche Schenkung unter dem Bischof Simon, des von Hermann herkommenden Enkels des Grafen Bernhard, auf den wir gleich zu sprechen kommen.) Steinheim könnte andererseits auch zur Dynastie der Engern gehört haben und erst dann davon getrennt worden sein, als Engern selbst den Lippischen Grafen zugefallen ist. So dass wir feststellen können, dass aus diesem Grunde die erwähnten Bräuche ihren Ursprung Barbarossas Regierung und Heinrichs des Löwen Niedergang. Damals nämlich soll der Paderborner Bischof Bernhard das Gebiet besetzt haben, das der Löwe jenseits der Weser besessen hatte. Und weil Bernhard Graf zur Lippe dem Löwen die Treue gehalten hatte, war es möglich, dass er von ihm als Lohn für seine Kriegsdienste und sonstige Unterstützung Engern erhielt.[12] Später bekam er dieses Gebiet aufgrund eines Tausches mit dem Erzbischof von Köln oder mit dem Herzog Bernhard von Sachsen zurück. Denn beide haben den Titel eines Herzogs von Westfalen und Enger für sich beansprucht und ihn an ihre Nachfolger und Nachkommen weitergegeben. Wer indessen annehmen möchte, dass Graf Bernhard auch Steinheim aus dem Herzogtum der Engern behalten habe, dem möchte ich nicht widersprechen.[13] So nämlich wäre die von uns erwähnte Mutmaßung über eine kirchliche Schenkung stimmiger, dass möglicherweise Bischof Simon Steinheim als Erbgut von Bernhards Sohn dem Bistum zugebracht habe. Welche Bischöfe die Diözese Paderborn aber nach Bernhard oder Simon gehabt hat, dürfte allerdings ein anderes Thema sein. Absichtlich übergehe ich auch die Vorgänge, mit denen eine Erwähnung Steinheims verknüpft sein könnte oder die ausschließlich diese Stadt betreffen. Man muss nämlich bedenken, dass Kritiker einem das vorhalten könnten, was bekanntermaßen Strabon [14] dem Historiker Ephoros [15] vorgeworfen hat.
Nunmehr müsste auch anderes berührt werden, über das man sich in Ortsbeschreibungen gewöhnlich auslässt. Aber damit die Darlegung nicht zu weitschweifig wird und weil das meiste noch vor aller Augen liegt, will ich nur weniges, und zwar die im Großen und Ganzen wichtigsten Leute anfügen. Steinheim hat als Stadt von mittlerer Bedeutung angesehene Familien. Sie einzeln aufzuzählen, halte ich nicht für nötig. Unsere, die Reinekesche, oder wie Joachim Camerarius,[16] nachdem er mich kennengelernt hatte, diesen Namen auszusprechen und zu schreiben pflegte, nämlich Reineccia, wird für einheimisch gehalten. Denn es steht fest, dass mein Urgroßvater in Steinheim gewohnt hat. Mein Großvater Werner und mein Vater Johannes, ebenso mein Onkel Reiner und sein gleichnamiger Sohn, mein Taufpate, haben hervorragende Ämter der Stadt geleitet. In der Stadt Mansfeld gibt es eine Familie gleichen Namens; aus ihr hat sich Johannes Reineck hervorgetan, der aus Schriften Luthers bekannt ist. Auch ein an ihn gerichteter Brief Philipp Melanchthons ist noch vorhanden. Ob es aber dieselbe Familie wie die unsere ist, will ich hier nicht erörtern und die ganze Angelegenheit unentschieden lassen.
Kirche und Schule Steinheims sind von keiner besonderen Bedeutung. Der Abt von Marienmünster hat die kirchlichen Grundstücke inne, und er hat das Recht, den sogenannten Pastor zu ernennen. Dies, so habe ich erfahren, kann man folgendermaßen ableiten. Der Graf Widekind gründete das Kloster um 1129 [17] und stattete es mit sehr ansehnlichem Besitz aus. Um 1333 [18] soll Abt Hermann die Rittergüter Vörden und Bredenbom angelegt haben. Räuberbanden sollen die Gegend unsicher gemacht haben. Weil der Abt die erwähnten Güter vor diesem Ungemach nicht beschützen konnte, erwarb er für sie durch Tausch mit dem Bischof von Paderborn die Kirchenvermögen in Steinheim und Nieheim. Die Verwaltung des Gemeinwesens obliegt dem Rat der Stadt, jedoch so, dass der Bischof die höhere Gerichtsbarkeit ausübt bzw. an seiner Statt der Amtsdroste. Dieses seit langem verpfändete Amt hatte die Familie Amelunxen inne, ein ritterliches Adelsgeschlecht. Kürzlich kaufte der oben erwähnte Administrator Heinrich das Amt zurück,[19] und mit der Amtsverwaltung wurde mein Schwager Florinus Fürstenau [20] beauftragt. Das Vermögen der Stadt besteht hauptsächlich in Waldungen. Sie erwarb nämlich verschiedene Wälder,[21] die gerade zur Schweinezucht sehr geeignet sind, da sie an Eicheln und Bucheckern Überfluss haben. Fast alle Stadtbewohner betreiben Landwirtschaft. Steinheim hat nämlich hinreichend fruchtbaren Boden. Die Qualität der Ländereien wird durch Mergel oder weißen Ton überaus verbessert, worüber Plinius so genau in Buch 17, Kap. 6 f. berichtet. Auch auf die Annehmlichkeit von Weiden brauchen die Einwohner nicht zu verzichten. Dennoch ziehen sie ihren Gewinn hauptsächlich aus dem Ackerbau. Handelsgeschäfte sind selten. Sie. treiben nur so viel handwerkliches Gewerbe, wie unbedingt erforderlich ist.
Dass Steinheim auch den Wissenschaften zugetane Talente hervorbringt, lässt sich an verschiedenen Beispielen unserer Zeit zeigen. Aber die meisten bleiben an der Schwelle zu den Studien stehen, nur wenige dringen ins Innere vor. Die verschiedenen Gründe dafür, die einem aus der Kenntnis des Ortes einsichtig werden und die zum Teil von den Eltern selbst herrühren, sollen hier nicht verfolgt werden. Ich wünsche dem Magistrat vielmehr die Gesinnung, dass er sich dieser Angelegenheit wachsamer mit eifriger und ihr würdiger Sorge annehme. Den Ruf der Gelehrsamkeit und Beredsamkeit erwarb sich gleichwohl Hermann Tuleke, oder, wie er selbst seinen Namen in lateinischer Sprache zu bilden pflegte: Tulichius. Die Familie, aus der er stammte und die neben unserem Hause gewohnt hat, ist bereits ausgestorben, abgesehen davon, dass einige ihre Abstammung mütterlicherseits, wie sie behaupten, in je verschiedenen Graden auf sie zurückführen. Unter diesen war der Sohn einer Schwester des Tulichius, Hermann Wippermann, Lehrer der freien Künste, die er am Gymnasium in Lüneburg erfolgreich lehrte. Er erklärte, dass Heinrich Menne, Kleriker an Sankt Peter in Lübeck und ebenfalls geborener Steinheimer als sein Verwandter auch aus diesem Geschlecht stamme. Aber zurück zu Tulichius! Als Knabe hatte er zum Mitschüler und vertrauten Gefährten Konrad Engeling, meinen Onkel (mütterlicherseits), der später ein herausragendes Amt der Stadt Steinheim bekleidete und bei allen Bürgern wegen seiner einzigartigen Klugheit sowie seiner Lauterkeit und Zuverlässigkeit in seiner gesamten Amtsführung sehr geschätzt war. Ich werde seinen Namen allezeit verehren, weil er der beinahe einzige Urheber meiner Studien gewesen ist. Meinen Vater verlor ich nämlich schon als kleines Kind. Weil daher meine Mutter als Witwe Trost hauptsächlich in den Ratschlägen ihres Bruders fand und dieser meinen Schulbesuch billigte und empfahl, ist es so dahin gekommen, dass ich meine eben erwähnten Studien in aller Ruhe aufnehmen konnte, ohne sie wie die meisten meiner Mitschüler aus der Stadt durch landwirtschaftliche Arbeiten unterbrechen zu müssen. Als Tulichius glänzende Fortschritte in den Wissenschaften gemacht und die Würde eines Magisters der freien Künste erlangt hatte, erhielt er zunächst an der Leipziger, dann an der Wittenberger Universität einen Lehrstuhl als öffentlicher (ordentlicher) Professor, In den Werken, die Stephan Riccius herausgegeben hat, sind seine Erklärungen zu Ciceros Reden zu finden. Darüber hinaus schätzte Martin Luther, durch dessen heilige und erfolgreiche Mühe die Wahrheit der evangelischen Lehre unserer Zeit wieder bekannt geworden ist, ihn so sehr, dass er ihm sein Buch »Von der babylonischen Gefangenschaft« widmete. Dass er das höchste Amt der Universität Wittenberg, was man gewöhnlich Rektor nennt, bekleidete, ist bekannt. Zudem werden auch noch verschiedene seiner Gedichte gelesen. Er war nämlich in ungebundener wie in gebundener Rede gleichermaßen erfolgreich. Auch erinnere ich mich noch, dass Johann Glandorp ihn deshalb außerordentlich gerühmt hat, ja er war ihm in Freundschaft immer sehr eng verbunden.
Endlich wurde Tulichius zur Leitung des Gymnasiums nach Lüneburg berufen. Dort lebte er in hohem Ansehen und als großes Vorbild. Dies bezeugt, um andere unerwähnt zu lassen, der berühmtem ritterlichen Adel angehörige Georg von Oeynhausen, [22] der während dieser Zeit nicht nur sein Schüler war, sondern ständig in seiner Gesellschaft lebte, Tulichius aber starb, als er dieses Amt einige Jahre lang verwaltet hatte. Die Verse der Grabinschrift, die damals zur Feier seines Gedächtnisses verfasst wurden, sind auch jetzt noch in Lüneburg öffentlich zu sehen. Sie sollen hier angeführt werden:
Hier ruht Hermann Tulichius,
der gute Redner und erfolgreiche Dichter.
Lange hat er die Schule dieser Stadt
ruhmvoll geleitet. Aber vorzeitig
hat das Schicksal einen so bedeutenden
Mann hinweggenommen zur
tiefen Trauer aller Guten.
Er starb 1540, am 28. Juli, im Alter
von 54 Jahren.
Von einigen anderen, die noch leben und von denen ich oben Heinrich Menne erwähnte, durfte ich weiter nichts sagen. »Es nährt sich nämlich die Missgunst unter den Lebenden,«[23] wie der Dichter sagt. Und mit Recht schreibt Horaz[24]:
»Die Tugend, solange sie unter uns lebt, sehen wir nicht gern,
doch neidvoll vermissen wir sie,
sobald sie den Augen entrückt ist.«
So habe ich also nur noch den unsterblichen Gott inständig zu bitten, dass er die Heimat und ihre Vorsteher mit geneigter Gunst betrachte, leite und beschütze, dass er ihr weiterhin solche Bürger und Magistrate gebe, die der Kirche, der Stadt und der Wissenschaft durch wohlwollende Hilfe heilsam verbunden sind.
Dabei mögen sie wahrlich durch ein so großes und vortreffliches Verdienst gewiss immerwährenden Ruhm erlangen."